In Carnuntum erhebt sich heute ein ganzes römisches Stadtviertel aus seinen antiken Grundmauern und präsentiert sich dem Besucher so, wie es im frühen 4. Jahrhundert n. Chr. ausgesehen haben könnte. Man hat den Eindruck, die Bewohner wären nur kurz fortgegangen und würden gleich zurückkehren.
Schon in vorrömischer Zeit bestand an der Kreuzung der Donau mit der Bernsteinstraße eine Keltensiedlung, deren latinisierter Name auf den keltischen Tier- und Fruchtbarkeitsgott Cernunnos („der Gehörnte“) zurückgeführt werden kann.
Um das Jahr 6 n. Chr. errichtete Kaiser Tiberius hier ein befestigtes Winterlager, das unter Kaiser Claudius um 40/50 n. Chr. zu einem stationären Legionslager ausgebaut wurde. Einige Kilometer westlich des Lagers entstand schon bald darauf eine Zivilstadt und Carnuntum stieg zu einem der bedeutendsten Militär- und Verwaltungsstandorte der Donauregion auf.
Zwischen 103 und 107 n. Chr. verlegte Kaiser Trajan den Sitz des Statthalters (legatus Augusti pro praetore) der Provinz Oberpannonien hierher und unter Kaiser Hadrian erhielt die Zivilsiedlung um 124 n. Chr. das Stadtrecht als Municipium Aelium Karnuntium (M.A.K.). Kaiser Marc Aurel hielt sich während der Markomannenfeldzüge zwischen 171 und 173 n. Chr. hier auf und Kaiser Septimius Severus wurde hier 193 n. Chr. von den pannonischen Truppen zum Kaiser ausgerufen. Zum Dank dafür erhob er die Stadt 194 n. Chr. zur Colonia Septimia Aurelia Antoniniana Karnuntum (C.S.A.A.K.).
Im Jahr 308 n. Chr. fand in Carnuntum unter Leitung von Diokletian die „Kaiserkonferenz“ statt, die die Machtverhältnisse der Tetrarchenzeit neu regeln sollte. Die Auswirkungen dieser Konferenz ermöglichten nicht nur die rasante Ausbreitung des Christentums, sondern bescherten Carnuntum auch einen neuerlichen Bauboom. Nach einem schweren Erdbeben um 350 n. Chr. begann jedoch der langsame Niedergang der Stadt, der 433 n. Chr. mit der Aufgabe der Provinz Pannonia endete.
Während der Zeit der größten Ausdehnung lebten in den Militär- und Zivilbereichen von Carnuntum um die 50.000 Einwohner und etwa 6.500 Soldaten auf einer Fläche von ca. 1.000 Hektar. Die von einer Stadtmauer umgebene Zivilstadt war rund 67 Hektar groß, die Lagerstadt etwa 120 Hektar.
Seit etwa 1870 finden in Carnuntum Ausgrabungen statt. Ein erstes Freilichtmuseum entstand in den 1950er Jahren, der Archäologiepark wurde 1988 eröffnet. Im Rahmen eines Archäologieprojektes wird das Gelände der Zivilstadt seit 2001 nach und nach erforscht und die Gebäude und deren Inneneinrichtung anhand der archäologischen Befunde mit antiken Mitteln und experimenteller Archäologie originalgetreu nachgebaut und weiter ergänzt. Bisher sind von der Gesamtfläche erst ca. 0,5% ausgegraben, dennoch ist das bisherige Ergebnis beeindruckend.
Der Rundgang durch das Römische Stadtviertel beginnt im Eingangsgebäude und führt zunächst durch eine rekonstruierte Gräberstraße, einen Multimediaraum und eine kleine Ausstellung mit Repliken römischer Feldzeichen der in Carnuntum stationierten Einheiten. Ein Modell im Maßstab 1:300, das Carnuntum um das Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr. zeigt, gibt einen guten Überblick über die Lage und Ausdehnung der Militär- und Zivilsiedlungen.
Am Kaiserkonferenz-Monument vorbei erreicht man den sogenannten „Spaziergarten“ des römischen Stadtviertels und erhält einen ersten Überblick über das Gelände. Über die Südstraße, die einen Häuserblock (insula) mit privaten Wohngebäuden von einem Viertel mit öffentlichen Gebäuden trennt, betritt man nun das Haus des Ölhändlers (Haus I). Dieses besteht aus einem zur Straße gelegenen Gewerbebereich, einem zentralen Wohnbereich mit mehreren mit Mosaikböden ausgestatteten Wohnräumen und einem Garten mit Nutz- und Zierpflanzen. Seit 2019 ist das Gewerbegebäude mitsamt Inneneinrichtung vollständig rekonstruiert und zeigt das Ladengeschäft eines Ölhändlers.
Das benachbarte Haus des Lucius (Haus II) gehörte dem Tuchhändler Lucius Maticeius Clemens und ist ein typisches Wohnhaus der wohlhabenden römischen Mittelschicht. Dem Wohnhaus war ein Gewerbebereich mit 2 Töpferöfen vorgelagert. Über einen kleinen Hof erreichte man über einen Vorraum den Innenhof, neben dem sich die Küche befand. Daran schlossen sich ein Geschäftsraum und ein mit Fußbodenheizung versehener Wohnraum an und dahinter eine Veranda, die zum Garten führte. Im Obergeschoss befanden sich die Schlaf- und Gesinderäume. Dieses Haus wurde zwischen 2005 und 2006 als erstes Gebäude in Carnuntum komplett rekonstruiert.
In Haus III und Haus V, von denen nur die Grundmauern konserviert wurden, gibt es bisher noch keine Funde, die Aufschluss über ihre mögliche Funktion geben. Sie waren aber sicher ebenfalls Gewerbe- und Wohnhäuser. Das zwischen den beiden Häusern gelegene und 2013 teilrekonstruierte Domus Quarta (Haus IV) war ein aufwendig und luxuriös ausgestattetes Wohnhaus mit einen eigenen kleinen Badebereich (balneum). In den Mosaikbändern des einzigen in situ verbliebenen Fußbodenmosaiks des Stadtviertels waren in der Antike wohl figürliche Darstellungen eingelegt.
Auf der anderen Seite der Südstraße liegt die rund 2000 qm große Villa Urbana, eine Stadtvilla eines wohlhabenden Römers aus der Oberschicht, die bis zum Jahr 2008 etwa zur Hälfte rekonstruiert wurde. Die Repräsentationsräume, die Küche und einige Wohnräume und vor allem der große Hauptsaal mit der steinernen Halbkuppel über der Apsis und den originalgetreu rekonstruierten Wandmalereien sind auch heute noch imposant. Im Wirtschaftshof befand sich die Feuerstelle (praefurnium) für die Fußbodenheizungen und eine Loggia öffnete sich zum Innenhof mit Garten.
Der neben der Villa Urbana gelegene Bau gab den Forschern lange Jahre Rätsel auf. Heute meint man, dass es sich um eine Herberge (mansio) handelt. Dafür spricht die unmittelbare Nähe zur Therme und einer Gaststätte. Aber auch die Funktion als Lazarett (valetudinarium), Lagerhalle (horreum) oder Markthalle (marcellum) wäre plausibel.
Zum wohl beeindruckendsten Gebäude gehört die Römische Therme, die bis 2011 rekonstruiert wurde und heute voll funktionsfähig ist. Mit ihrer Fläche von ca. 1500 Quadratmetern war sie jedoch nur eine der kleineren Stadtteilthermen. Der Eingang lag an der Nordstraße, wo sich auch eine Gaststätte (thermopolium) befand. An der mit 16 „Sitzplätzen“ ausgestatteten Latrine vorbei erreichte man zunächst die Eingangshalle (basilica thermarum), in der sich neben dem Umkleidebereich (apodyterium) auch Ruhebereiche und Massageräume und der Zugang zum Sportgelände (palaestra) befanden. Über den Kaltbadebereich (frigidarium) mit Kaltwasserbecken (piscina) und das Laubad (tepidarium) ging man dann in den Warmbadebereich (caldarium) mit Warmwasserbecken (alveus). In einem der abzweigenden Räume, in denen heute die Reste der originalen Hypokaustenpfeiler zu sehen sind, gab es vielleicht auch ein Heißbad (sudatorium).
Die Nordstraße begrenzt den von der Therme, der Herberge und der Villa Urbana gebildeten Häuserblock nach Norden. Sie war von Säulenhallen (portikus) gesäumt, die als überdachter Gehsteig dienten. Hier wurde das Original-Straßenpflaster verlegt, unter dem die römische Kanalisation auch heute noch funktionsfähig ist.
Die Römerstadt Carnuntum, die seit 2021 auch zum UNESCO-Welterbe „Grenzen des römischen Reiches – Donaulimes“ gehört, ist von Mitte März bis Mitte November täglich gegen Eintrittsgebühr geöffnet. Das Kombiticket ist neben dem Römischen Stadtviertel auch für das Amphitheater der Militärstadt und das Museum Carnuntium gültig. An den Wochenenden und nach Vereinbarung werden geführte Themenrundgänge durch das Stadtviertel angeboten.
Rund ums Jahr gibt es in Carnuntum verschiedene Festivals und Veranstaltungen wie z.B. das „Römerfestival Carnuntum“ im September mit römischen Legionären, Reiterei, Gladiatoren und Händlern, oder das „Fest der Spätantike“ im August mit Living-History-Akteuren aus ganz Europa, ein Kinderfest und Aktionstage. In der Villa Urbana werden auch Abende mit römischen Gaumenfreuen veranstaltet.
Lage: Römerstadt Carnuntum, Hauptstraße 1A, 2404 Petronell-Carnuntum
Links: www.carnuntum.at; www.carnuntum.at/de/roemerstadt-carnuntum/roemisches-stadtviertel